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Der Kulturwandel in Unternehmen ist der größte Wirkraum für Nachhaltigkeitsverantwortliche

Sarah Maria Böhmer • Dez. 15, 2022

Lesen Sie, warum Sie Nachhaltigkeit nicht an eine Abteilung delegieren sollten, sondern in den Kulturwandel investieren.

Eine Einladung zum Perspektivwechsel auf die Hauptaufgabe von Nachhaltigkeits- / CSR-Abteilungen.


In den meisten Fällen werden Nachhaltigkeitsstrategien in Nachhaltigkeitsabteilungen oder durch einzelne Nachhaltigkeitsverantwortliche entwickelt. Kann auch die ganzheitliche Transformation des Unternehmens in eine nachhaltige Wirtschaftsweise an die Nachhaltigkeitsabteilung delegiert werden? In welchen unterschiedlichen Wirkräumen, müsste die Nachhaltigkeitsabteilung dafür aktiv sein? Welche Kompetenzen müssten dafür vorhanden sein?

 

Wie so oft hängt die Antwort von der konkreten Zielsetzung ab – davon was eigentlich unter einer „ganzheitlichen Transformation in eine nachhaltige Wirtschaftsweise“ verstanden wird. Ich sehe drei mögliche Entwicklungsstufen, die jeweils unterschiedliche Wirkräume für Nachhaltigkeitsverantwortliche mit sich bringen.

 


Entwicklungsstufe 1


Die Nachhaltigkeitsstrategie verfolgt primär das Absichern des aktuellen Geschäftsmodells. Hauptaufgabe ist daher die Produkt- und Prozessoptimierung hinsichtlich ökologischer, sozialer und ökonomischer Aspekte, nach dem Prinzip vermeiden und vermindern negativer Auswirkungen. Diese Ausrichtung stellt das Minimum und den Startpunkt der meisten Unternehmen dar. Folgende Wirkräume und Aufgaben – in aller Kürze dargestellt – sind der Grund, weshalb in vielen Unternehmen Nachhaltigkeitsabteilungen überhaupt erst etabliert werden.

 

Wirkraum 1:  Strategie

Zum Einstieg bedarf es der Ermittlung des Status Quo und der Identifikation der relevantesten Handlungsfelder. Für diese gilt es, in einer Strategie entsprechenden Zielsetzungen zu definieren und wirksame Maßnahmen abzuleiten. 

 

Wirkraum 2:  Interne Kommunikation

Um die Umsetzung anzustoßen, braucht es in allen Unternehmensbereichen Wissen über diese Strategie. Im besten Fall wird innerhalb des Kommunikationsprozesses auch noch das Wollen und Können geweckt, um die Wirksamkeit zu erhöhen.

 

Wirkraum 3:  Prozess- & Produktoptimierung

In der Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie geht es dann konkret darum, die erkannten, negativen Effekte der Geschäftstätigkeit gemeinsam mit den jeweiligen Unternehmensbereichen und im Zusammenspiel zu vermeiden und zu vermindern.

 

Wirkraum 4:  Nachhaltigkeitsberichterstattung

Ob gesetzlich verpflichtet oder nicht – aufgrund der Erwartungen von Kund:innen an die Transparenz von Unternehmen, was die Nachhaltigkeit betrifft, veröffentlicht ein

Großteil schon heute Nachhaltigkeitsberichte, die vollständig von der Nachhaltigkeitsabteilung oder mit einem großen Anteil ihrerseits erstellt werden.

 

Diese Kund:innen- und Stakeholder-Erwartungen bringen uns zur nächsten Entwicklungsstufe.

 


Entwicklungsstufe 2


Seit viele Unternehmen erkannt haben, dass Nachhaltigkeit auch zum Kaufkriterium geworden ist, geht es nicht nur darum, das Geschäftsmodell abzusichern, sondern den Erfolg mit Hilfe nachhaltiger Produktlinien und Marken weiter zu steigern. Daraus ergeben sich neue Aufgaben.

 

Wirkraum 5:  Vermarktungs- und PR-Unterstützung
Sowohl für den Vertrieb als auch für die Marketingkommunikation und PR soll die Nachhaltigkeitsabteilung nun Antworten und Verkaufsargumente liefern, am besten direkt in wirkungsvollen Geschichten und leicht verständlichen Bildern. Das erhöht die Anforderungen an die Kommunikationskompetenz und setzt zusätzlich eine gute Stakeholder-Kenntnis voraus.

Es hat außerdem Auswirkungen auf die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung: Alle notwendigen Informationen in entsprechender / vorgeschriebener Tiefe aufbereiten, gleichzeitig ansprechend sowie ohne zu langweilen und die oft abstrakten Inhalte auf eine leicht verständliche Art und Weise vermitteln.

 

Aus meiner Sicht ist es Zeit für eine weitere Entwicklungsstufe, die weniger von außen befeuert wird als die ersten beiden. Viele Unternehmer:innen erinnern sich wieder daran, dass die Wirtschaft nichts Naturgegebenes ist, sondern wir es in der Hand haben, wie wir sie gestalten.

 


Entwicklungsstufe 3 – Next Generation of Business*


Wie verhält es sich also bei Unternehmen, die mit ihrem Übergang in eine nachhaltige Wirtschaftsweise langfristig auch einen grundlegenden Wandel der Wirtschaft mitgestalten wollen, damit sie aktiv eine gute und gerechte Zukunft für alle mit formt?

 

Das bedeutet, bewusst mit den typischen Mechanismen zu brechen, denen wir bisher folgen. So gehen Unternehmen beispielsweise in Stiftungsmodelle über wie es Patagonia erst kürzlich tat. Verantwortliche entscheiden sich bewusst, das Marketingkommunikationsbudget zugunsten der Entwicklung nachhaltiger Produkte zu kürzen wie VAUDE. Oder man führt einen Anti-Mengenrabatt ein wie das Premium-Kollektiv.

   

Welche Wirkräume müssen sich Nachhaltigkeitsabteilung zusätzlich erschließen, um dieser Zielsetzung gerecht zu werden?

 

Wirkraum 6:  Kulturtransformation

Unsere Glaubenssätze sind wie eine Brille, durch die wir die Welt sehen und wie wir sie uns vorstellen können - auch im Falle der Wirtschaft. Um mit alten Denkmustern zu brechen und in allen Unternehmensbereichen Wirkräume zur Veränderung zu erkennen sowie Ideen zu entwickeln, müssen die aktuellen Glaubenssätze bewusst gemacht werden. Das ermöglicht erst, sie vor dem Hintergrund der aktuellen Realität zu hinterfragen und aus Selbsterkenntnis heraus verändern zu können.

Für eine hohe Wirksamkeit und Potentialentfaltung in allen Bereichen muss dieser Prozess auf allen Hierarchieebenen und in allen Abteilungen stattfinden sowie fachlich begleitet werden – vom unternehmerischen Selbst- & Erfolgsverständnis bis zur Verantwortung jeder und jedes Einzelnen. (In meinem letzten Artikel „Wir brauchen mehr Gestaltungshunger für eine nachhaltige Wirtschaft“ ist mehr darüber zu lesen.)

 

Wirkraum 7:  Internes Netzwerk

Im Zuge dieser Kulturtransformation braucht es, insbesondere zu Beginn, Verantwortliche, welche die Weiterentwicklung initiieren und lebendig halten, bis der Spirit tatsächlich in der Kultur sowie im Arbeitsalltag verankert ist. Dabei geht es darum, immer wieder Impulse zu setzen zum Austausch und zum Teilen sowie zum gemeinsamen Entwickeln von Ideen. Außerdem braucht es Raum zum Experimentieren.

 

Wirkraum 8:  Externe Repräsentation

Die Wirtschaft langfristig als Ganzes umzugestalten, setzt Mitstreiter:innen voraus. Das bedeutet, in unterschiedlichen Stakeholder-Kreisen und zu unterschiedlichen Anlässen über die Entwicklungen und Erfahrungen des eigenen Unternehmens zu sprechen.

 

Wirkraum 9:  Stakeholder-Partnerschaft
Aber nicht nur das Teilen des eigenen Wissens und Erlebens, sondern auch Zuhören ist wichtig. Darüber erkennen Unternehmen, wo und wie sie darüber hinaus und insbesondere gemeinsam mit anderen mehr bewirken können. Deshalb sind auch ein regelmäßiger Dialog sowie gemeinsame Entwicklungen in enger Zusammenarbeit wertvoll – ob innerhalb der Branche, branchenübergreifend, mit NGOs, der Politik oder der Öffentlichkeit.

 

Wirkraum 10:  Bildung
Nachhaltigkeit ist oft abstrakt und durch die Vernetzung nicht einfach zu verstehen und nachzuvollziehen. Vor diesem Hintergrund können Unternehmen ihre Stimme nutzen, um aufzuklären und wissenschaftliche Erkenntnisse mitzuverbreiten. Denn die Kommunikation von Marken, denen Menschen vertrauen, hat Gewicht. 

Gleichzeitig ist Wissenschaftskommunikation nicht ohne Grund eine eigene Disziplin, weshalb das keine einfache Aufgabe darstellt.

 


Muss und kann eine Nachhaltigkeitsabteilung diese Breite an Kompetenzen abbilden?


Ich habe all diese Wirkräume im ersten Schritt der Nachhaltigkeitsabteilung zugeordnet, da ihre Grundlage in der Ausrichtung des Unternehmens auf Nachhaltigkeit liegt und ein Nachhaltigkeits-Mindset und -wissen wichtig oder gar essenziell ist, um sie erfolgreich zu nutzen. Wenngleich viele auch (tiefe) zusätzliche Fähigkeiten erfordern. Es bedeutet allerdings nicht, dass diese Wirkräume ausschließlich von Nachhaltigkeitsabteilungen übernommen werden können. Denn es stellt sich ohnehin die Frage:  Muss und kann eine Nachhaltigkeitsabteilung diese Breite an Kompetenzen abbilden?

 

Ich glaube: Das muss und sollte sie gar nicht.

Komplexe Herausforderungen können in allen Lebensbereichen besser gelöst werden, wenn disziplinübergreifend zusammengearbeitet wird und eine Verknüpfung unterschiedlicher Kompetenzen und Perspektiven stattfindet.

 


Ich bin überzeugt: Die stärkste Kraft liegt in der Kulturtransformation.


Gelingt es Nachhaltigkeitsverantwortlichen, diesen Selbsterkenntnisprozess auf allen Ebenen anzustoßen, werden die einzelnen Fachbereiche selbst und gemeinsam wirksamere Gestaltungsmöglichkeiten in ihren Verantwortungsbereichen erkennen, als es eine zentrale Abteilung könnte. Nachhaltigkeit darf nicht die Kompetenz einer Abteilung sein.

Und eine Nachhaltigkeitsstrategie kann nicht ihr Ganzes Potential entfalten, wenn Maßnahmen aus denselben alten Denk- und Entscheidungsmustern heraus geboren werden.

 

Wenn das Ziel eines Unternehmens ist, zu einem grundlegenden Wandel der Wirtschaft beizutragen, damit sie aktiv eine gute und gerechte Zukunft für alle mitgestaltet, besteht die Hauptaufgabe für Nachhaltigkeitsverantwortliche in der Kulturtransformation im Unternehmen selbst.

 

Unternehmen sollten daher bewusst entscheiden:

1.   Welche Kompetenzen sollen Nachhaltigkeitsverantwortliche bei uns haben?

2.   Für welche Aufgaben ist es wirkungsvoller, ein Nachhaltigkeits-Mindset und -kompetenzen bei bestehenden Mitarbeiter:innen aufzubauen?

 

In der Konsequenz kann das bedeuten, statt einer Nachhaltigkeitsabteilung, ein bereichsübergreifendes Nachhaltigkeitsteam zu etablieren.

 

Start-Ups und junge Unternehmen wie beispielsweise einhorn können diesen Ansatz von Anfang an leben. Doch auch konventionellen Unternehmen kann es gelingen. Ein Best Practice ist VAUDE. Dort ist das Nachhaltigkeits-Mindset in allen Unternehmensbereichen derart verankert worden, dass diese Wirkräume von unterschiedlichen oder auch ein Wirkraum von mehreren Personen genutzt werden können.

 

Das zeigt unter anderem die externen Repräsentanz. Je nach Teilnehmerkreis und Anlass sprechen dazu beispielsweise:

  • Dr. Antje von Dewitz, Geschäftsführerin und Inhaberin
  • Manfred Meindl, Referent & Head of Marketing bei VAUDE
  • Jan Lorch, Mitglied der Geschäftsführung, Bereichsleiter Vertrieb & Leiter CSR-Team VAUDE
  • Lisa Fiedler, Leiterin VAUDE Academy & Mitglied im CSR-Team VAUDE
  • Miriam Schilling, Bereichsleiterin Personal & Organisation VAUDE

 

 

Aus meiner Sicht sind drei Faktoren für Unternehmen essenziell.

 

1. Klarheit über die Zielsetzung
In welchem Umfang soll Euer Unternehmen bzgl. Nachhaltigkeit aktiv werden (Entwicklungsstufe).

 

2. Wirkräume bewusst machen
Sich aller im Sinne der Zielsetzung relevanten Wirkräume bzw. Aufgaben bewusst zu sein. Wenn Ihr langfristig den Übergang in die Next Generation of Business anstrebt, sollte die Breite an Wirkräumen bereits auf dem Weg dahin nach und nach erschlossen werden.

 

3. Bestehende Kompetenzen einbeziehen und weiterentwickeln
Sowohl in die Weiterbildung Eurer aktuellen Nachhaltigkeitsverantwortlichen (Transformationskompetenz) zu investieren, als auch in jedem einzelnen Unternehmensbereich die Mitarbeiter:innen hinsichtlich Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln, um die Wirksamkeit der Nachhaltigkeitsstrategie zu erhöhen.



*Die Next Generation of Business erkennt Fehlannahmen unseres Wirtschaftsverständnis und seiner Praktiken. Sie fügt sich diesen nicht länger, sondern nutzt ihren unternehmerischen Gestaltungsspielraum als Hebel, um langfristig eine gute und gerechte Zukunft für alle Menschen mitzugestalten.

Wie in allem gibt es dabei nicht den einen richtigen Weg. Wenn Sie sich dazu austauschen möchten, sind Sie herzlich eingeladen, mir direkt zu schreiben.

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